Da die Kollumne relativ lang ist, habe ich einige wenige Teile zitiert. Diese stehen für sich und sind frei zu kommentieren. Der Rat ist den ganzen Artikel zu lesen, Passagen über Euthanasie und U-Haft für KiPo habe ich nicht zitiert.
Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist für 2017 unter dem Titel "Sexueller Missbrauch von Kindern" (§§ 176, 176a, 176b StGB) insgesamt 11.547 Verdachtsfälle aus. Davon entfielen Null auf § 176b (sexueller Missbrauch mit Todesfolge), 5168 auf § 176 Abs. 1 und 2 ("einfacher" sexueller Missbrauch, also alle Handlungen ohne jedes Eindringen in Körperöffnungen), 1568 auf § 176 Abs. 4 Nr. 1 (exhibitionistische Handlungen vor Kindern ohne Berührung) und 2120 auf § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB ("Einwirken" auf Kinder in der Absicht, eine "einfache" Tat nach Abs. 1 usw. zu begehen - also eine Vorbereitungshandlung). Für den "schweren sexuellen Missbrauch" (§ 176a, insb. bei "Eindringen in den Körper" - wo und wie auch immer) bleiben daher nicht wirklich viele Fälle. Diese Gruppe umfasst ihrerseits wieder Fälle vom "flüchtigen Eindringen mit einem Finger in den Scheidenvorhof" (oder den Mund) bis zum gewaltsamen Vaginal- oder Analverkehr.
Bekanntlich führt die PKS nicht die bewiesenen Fälle, sondern nur die polizeilich erfassten Verdachtsfälle auf. Auskunft über den Ausgang der Verfahren gibt (teilweise) die sogenannte Rechtspflegestatistik (Bundesamt für Statistik, Fachserie 10), die für Laien nicht ganz leicht zu verstehen ist. Sie weist für das Jahr 2017 insgesamt 1866 Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern aus.
Tatsache ist, dass die Zahlen für den sexuellen Missbrauch von Kindern seit 1993 fast kontinuierlich zurückgegangen sind. Das ist besonders deshalb bemerkenswert, weil zugleich die soziale Verachtung für diese Taten und die Anzeigebereitschaft offenkundig stark gestiegen sind. Kriminologische Botschaft also: Missbrauch von Herrschaft über Kinder aus sexuellen Motiven ist gegenüber früheren Jahren heute mit einem erheblich gesteigerten Entdeckungsrisiko verbunden. Insbesondere familiäre Abhängigkeitsverhältnisse stehen einer Strafverfolgung deutlich seltener entgegen.
Leider werden solch positive Nachrichten in der aktuellen Empörungs- und Skandalisierungskultur nicht erfreut aufgenommen, sondern gelten als "unverantwortliche Verharmlosung" und führen unweigerlich zu bittersten Vorwürfen gegen die Überbringer der guten Nachrichten, sie seien gefühllos und blind gegenüber dem Leiden der noch verbliebenen Opfer. Das ist kompletter Unsinn, aber erfolgreich.
Die CDU/CSU schlägt vor, den Strafrahmen für Besitz von Kinderpornografie (§ 184b StGB) von drei auf fünf Jahre zu erhöhen. Begründung: "Es darf nicht sein, dass ein Ladendiebstahl einen höheren Strafrahmen hat als der Besitz von Kinderpornografie" (S. 6). Das ist eine ziemlich willkürliche - um nicht zu sagen: doofe - Begründung.
Auf den ersten Blick fällt auf: Der "Besitz" von Kinderpornografie (er ist übrigens vollendet mit dem Herunterladen in den Arbeitsspeicher!) und der Versuch des Sich-Verschaffens (Anklicken von "Google"-Suchergebnissen, um vielleicht eine solche Seite zu finden!) sind bisher - zurecht! - geringer bedroht (drei Jahre - ist ja auch schon was) als das Verbreiten, Herstellen, Zugänglichmachen usw. (fünf Jahre). Wenn man das bloße Besitzen hochstufen würde (so CDU), würde die Relation zum Herstellen nicht mehr stimmen; also müsste man wiederum dieses hochstufen auf 10 Jahre. Dort ist aber schon das "bandenmäßige Handeln" angesiedelt (drei Personen reichen). Ergebnis, wie üblich, aber einfallslos wie immer und zudem auch bei der CDU/CSU verschwiegen: Alles muss hoch!
Dies weist auf zwei andere Schwächen des Konzepts hin: Zum einen behandelt es "Pädophilie" als Synonym der kriminalistischen Kategorie von "Tätern des sexuellen Missbrauchs". Das ist schon im Ansatz verfehlt, denn die weitaus meisten Täter sexuellen Missbrauchs von Kindern sind gar nicht pädophil (im psychiatrischen Sinn), sondern greifen unter Missbrauch von Herrschaftsverhältnissen auf Kinder (beiderlei Geschlechts) zu, weil sie "Ersatz" und Projektionsfläche von Macht und Wehrlosigkeit sind.
Pädophile Personen sind (vermutlich) öfter virtuell als in der Lebenswirklichkeit unterwegs. Wenn man ihre - wie auch immer begründete - sexuelle Präferenz konsequent kriminalisiert, sagt man Menschen, die im Übrigen nicht anders sind als alle anderen, dass sie lebenslang (!) für jede Verwirklichung ihrer Fantasie hart bestraft werden, die nicht im innersten Gedankenkreis bleibt. Eine harte Grenze, die sich ein jeder hetero- oder homosexuell "veranlagter" Mensch einmal als Perspektive des eigenen Lebens probehalber vorstellen mag.
Und auch hier wird überdies verschwiegen, dass die Strafbarkeit des "Versuchs" noch viel mehr Handlungen erfassen würde als den Irrtum über die Kinder-Eigenschaft des Chat-Partners: Schon das bloße Aufrufen der Seite und das Anmelden wären strafbar.
Eine lebenslange Stigmatisierung von Personen, die mit 19 Jahren und vollgedröhntem Kopf eine (überaus einwilligende) 13-jährige Person begrabscht haben, ist möglicherweise nicht der Weisheit letzter Schluss.
Wer "Opferbetreuungs-Stellen", "Betroffenen-Räume", Schutzkonzepte und "Beauftragten-Stellen" einrichtet - für was auch immer! - und sie mit hochstehenden Zielen, Planstellen und "Mitteln" ausstattet, muss, wie die Verwaltungssoziologie weiß, berücksichtigen , dass er damit nicht nur gute Hilfe, sondern auch eine sich selbst tragende Struktur errichtet. Banal: Je mehr Beauftragte zur Registrierung von Fehlern es gibt, desto mehr Fehler werden registriert.
Es bleibt fraglich ob der nächste Sexualmord vor einem Politiker- oder Juristenmord geschehen wird. Beides wird passieren.