von Mascha » So 11. Sep 2022, 10:59
Sprache bildet Wirklichkeit nicht nur einfach ab, sondern prägt sie auch. Es ist ein großer Unterschied, ob die Medien in einem Artikel über Kindesmissbrauch von "Missbrauchstätern", "pädophilen Tätern", "Pädosexuellen" oder von "pädophilen Kinderschändern" schreiben oder ob in Kommentaren in sozialen Medien gar von "pädophilen Kinderfickern" die Rede ist. Soweit sind wir uns vermutlich einig. Auch darüber, dass in der Auseinandersetzung darüber, welche sprachlichen Begriffe gut, im Sinne von "Menschen mit pädophiler Neigung nicht diskriminierend" sind, Macht eine Rolle spielt. Die nichtpädophile Mehrheitsgesellschaft kann entscheiden, wie sie mit Pädophilen umgehen möchte, sie entscheidet darüber, wie ihr gesehen werdet und wie ihr bezeichnet werden dürft. Fremdbezeichnungen sind immer eine Form der Machtausübung. Selbstbezeichnungen sind Empowerment, sind Stärkung.
Auch "Unsichtbarmachen" ist eine Form der Machtausübung. Wenn bei der neutralen Aufzählung sexueller Minderheiten (LGBTIQA*) z.B. Pädophile nie mitgenannt werden sondern Pädophilie regelmäßig nur im Kontext von Kriminalität sprachlich auftaucht ist das in meinen Augen Diskriminierung.
Sprache ist, das ist meine Überzeugung, also auch bei Eurem Thema etwas, das mitgedacht werden muss, wo Forderungen gestellt werden sollten, Kritik laut werden sollte, um Veränderungen der Wahrnehmung in der Gesellschaft zu bewirken.
Denn durch Benennungen bzw. Nicht-Benennungen, durch sprachliche Ab- oder Aufwertung, werden gesellschaftliche Vorstellungen davon, was normal, und gut ist, aufgerufen und bestätigt. Und so ist es bei allen Diskriminierungsformen, egal ob es um Hass gegen Pädophile, um Homo- oder Trans*phobie, um Rassismus, Sexismus oder Behindertenfeindlichkeit etc. geht.
Und Gendern macht eben für Mädchen und Frauen einen Unterschied. Untersuchungen haben z.B. gezeigt, dass die Berufswahl von Schüler*innen maßgeblich durch die sprachliche und bildliche Darstellung der jeweiligen Berufsgruppen in Unterrichtswerken beeinflusst wird. Wird dort zum Beispiel nur von Maschinenbauern, Ingenieuren etc. gesprochen, dann sehen deutlich weniger Mädchen es als eine Möglichkeit an, selbst diese Berufe zu ergreifen.
"Alle Philosophie ist Sprachkritik." schreibt der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Und: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."
Interessanterweise gab es, als der alte Beruf, der traditionell von Ordensschwestern ausgeübt wurde, die Krankenschwester, in Krankenpfleger/in umbenannt wurde, keinen Sturm der Entrüstung von Männern, obwohl man ja auch einfach gnädig hätte sagen können, die Männer die diesen Beruf wählen, dürfen sich bei "Krankenschwester" mitgemeint fühlen. Aber Gnade ist eben etwas was nur von den Mächtigen ausgeübt werden kann. Und auch wenn Frauen in mehr als 100 Jahren vieles erkämpfen konnten ist das Geschlechterverhältnis selbst in Europa noch weit entfernt davon, gleichberechtigt zu sein.
Sprache ist also entscheidend dafür, in welchem Maße ich die Welt erfasse.
"Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen."... so drückt Wittgenstein es aus.
Versuche, durch die Reform der Sprache auf die in Grammatik eingeschriebenen Machtverhältnisse einzuwirken, spielten im Kontext der sozialen Kämpfe um Gleichberechtigung seit den 1970er Jahren eine zentrale Rolle. Das generische Maskulinum (die Verwendung der männlichen Form für alle Geschlechter) macht Mädchen und Frauen unsichtbar. Warum sollten wir es weiter verwenden?
Damals wurde zuerst das Binnen-I eingebracht, um auch das Mittel der Sprache zu nutzen, um zu mehr Geschlechtergerechtigkeit zu kommen.
Mittlerweile haben sich weitere Bevölkerungsgruppen emanzipiert, sind aus der Unsichtbarkeit getreten, klagen ihre Diskriminierung an und mehr Rechte ein. Trans*- und Intermenschen passen weder in die weibliche noch in die männliche Kategorie. Ihre Existenz stellt sogar die Vorstellung, dass es nur 2 Geschlechter gibt, auf den Kopf. Dabei gab es schon immer Menschen, die intersexuell auf die Welt kamen, mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen und uneindeutigen Hormonen und Chromosomen. Diesen Menschen wurde in Deutschland erst vor kurzem das Recht eingeräumt, so zu sein wie sie sind. Sie werden nicht mehr als Säugling zwangsoperiert, sie müssen sich nicht mehr zwangsweise der Kategorie Mann oder Frau zuordnen und sie werden zunehmend auch sprachlich berücksichtigt durch die Aufzählung "männlich, weiblich, divers", durch Gender*Sternchen, Doppel:Punkte oder U_nterstriche, die sie sprachlich sichtbar machen sollen.
Sprache ist nicht nur wandelbar, sondern verändert sich ständig. Keine*r spricht und schreibt heute noch so wie zu Goethes Zeiten. Kinder müssen Eltern z.B. nicht mehr Siezen. Die Veränderungen von Sprache geschehen laufend, die Versuche, eine geschlechtersensiblere und für unterschiedliche geschlechtliche wie sexuelle Positionen offene Sprache zu schaffen, können insofern auch als Ausdruck eines wachsenden Bedürfnisses gesehen werden, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Man kann sich natürlich auch dagegen entscheiden. Man kann sagen "Gerechtere Gesellschaft? Hab ich was davon? Nö? Dann interessiert mich das nicht." Oder "Da wird was für andere getan, aber nicht für mich, daher schieße ich dagegen."
Dann aber bitte auch nicht beschweren, wenn die nichtpädophile Mehrheit weiter ihre Dominanz nutzt um die Schuld an Missbrauch auf Pädophile zu schieben und diese sprachlich zu Monstern zu machen.
Man kann sich aber auch bewusst dafür entscheiden, für eine gerechtere, insgesamt von weniger Diskriminierungen geprägte Gesellschaft einzustehen.
Noch zweimal Wittgenstein:
"Auch Worte sind Taten."
"Auch Gedanken fallen manchmal unreif vom Baum."
Sprache bildet Wirklichkeit nicht nur einfach ab, sondern prägt sie auch. Es ist ein großer Unterschied, ob die Medien in einem Artikel über Kindesmissbrauch von "Missbrauchstätern", "pädophilen Tätern", "Pädosexuellen" oder von "pädophilen Kinderschändern" schreiben oder ob in Kommentaren in sozialen Medien gar von "pädophilen Kinderfickern" die Rede ist. Soweit sind wir uns vermutlich einig. Auch darüber, dass in der Auseinandersetzung darüber, welche sprachlichen Begriffe gut, im Sinne von "Menschen mit pädophiler Neigung nicht diskriminierend" sind, Macht eine Rolle spielt. Die nichtpädophile Mehrheitsgesellschaft kann entscheiden, wie sie mit Pädophilen umgehen möchte, sie entscheidet darüber, wie ihr gesehen werdet und wie ihr bezeichnet werden dürft. Fremdbezeichnungen sind immer eine Form der Machtausübung. Selbstbezeichnungen sind Empowerment, sind Stärkung.
Auch "Unsichtbarmachen" ist eine Form der Machtausübung. Wenn bei der neutralen Aufzählung sexueller Minderheiten (LGBTIQA*) z.B. Pädophile nie mitgenannt werden sondern Pädophilie regelmäßig nur im Kontext von Kriminalität sprachlich auftaucht ist das in meinen Augen Diskriminierung.
Sprache ist, das ist meine Überzeugung, also auch bei Eurem Thema etwas, das mitgedacht werden muss, wo Forderungen gestellt werden sollten, Kritik laut werden sollte, um Veränderungen der Wahrnehmung in der Gesellschaft zu bewirken.
Denn durch Benennungen bzw. Nicht-Benennungen, durch sprachliche Ab- oder Aufwertung, werden gesellschaftliche Vorstellungen davon, was normal, und gut ist, aufgerufen und bestätigt. Und so ist es bei allen Diskriminierungsformen, egal ob es um Hass gegen Pädophile, um Homo- oder Trans*phobie, um Rassismus, Sexismus oder Behindertenfeindlichkeit etc. geht.
Und Gendern macht eben für Mädchen und Frauen einen Unterschied. Untersuchungen haben z.B. gezeigt, dass die Berufswahl von Schüler*innen maßgeblich durch die sprachliche und bildliche Darstellung der jeweiligen Berufsgruppen in Unterrichtswerken beeinflusst wird. Wird dort zum Beispiel nur von Maschinenbauern, Ingenieuren etc. gesprochen, dann sehen deutlich weniger Mädchen es als eine Möglichkeit an, selbst diese Berufe zu ergreifen.
"Alle Philosophie ist Sprachkritik." schreibt der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Und: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."
Interessanterweise gab es, als der alte Beruf, der traditionell von Ordensschwestern ausgeübt wurde, die Krankenschwester, in Krankenpfleger/in umbenannt wurde, keinen Sturm der Entrüstung von Männern, obwohl man ja auch einfach gnädig hätte sagen können, die Männer die diesen Beruf wählen, dürfen sich bei "Krankenschwester" mitgemeint fühlen. Aber Gnade ist eben etwas was nur von den Mächtigen ausgeübt werden kann. Und auch wenn Frauen in mehr als 100 Jahren vieles erkämpfen konnten ist das Geschlechterverhältnis selbst in Europa noch weit entfernt davon, gleichberechtigt zu sein.
Sprache ist also entscheidend dafür, in welchem Maße ich die Welt erfasse.
"Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen."... so drückt Wittgenstein es aus.
Versuche, durch die Reform der Sprache auf die in Grammatik eingeschriebenen Machtverhältnisse einzuwirken, spielten im Kontext der sozialen Kämpfe um Gleichberechtigung seit den 1970er Jahren eine zentrale Rolle. Das generische Maskulinum (die Verwendung der männlichen Form für alle Geschlechter) macht Mädchen und Frauen unsichtbar. Warum sollten wir es weiter verwenden?
Damals wurde zuerst das Binnen-I eingebracht, um auch das Mittel der Sprache zu nutzen, um zu mehr Geschlechtergerechtigkeit zu kommen.
Mittlerweile haben sich weitere Bevölkerungsgruppen emanzipiert, sind aus der Unsichtbarkeit getreten, klagen ihre Diskriminierung an und mehr Rechte ein. Trans*- und Intermenschen passen weder in die weibliche noch in die männliche Kategorie. Ihre Existenz stellt sogar die Vorstellung, dass es nur 2 Geschlechter gibt, auf den Kopf. Dabei gab es schon immer Menschen, die intersexuell auf die Welt kamen, mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen und uneindeutigen Hormonen und Chromosomen. Diesen Menschen wurde in Deutschland erst vor kurzem das Recht eingeräumt, so zu sein wie sie sind. Sie werden nicht mehr als Säugling zwangsoperiert, sie müssen sich nicht mehr zwangsweise der Kategorie Mann oder Frau zuordnen und sie werden zunehmend auch sprachlich berücksichtigt durch die Aufzählung "männlich, weiblich, divers", durch Gender*Sternchen, Doppel:Punkte oder U_nterstriche, die sie sprachlich sichtbar machen sollen.
Sprache ist nicht nur wandelbar, sondern verändert sich ständig. Keine*r spricht und schreibt heute noch so wie zu Goethes Zeiten. Kinder müssen Eltern z.B. nicht mehr Siezen. Die Veränderungen von Sprache geschehen laufend, die Versuche, eine geschlechtersensiblere und für unterschiedliche geschlechtliche wie sexuelle Positionen offene Sprache zu schaffen, können insofern auch als Ausdruck eines wachsenden Bedürfnisses gesehen werden, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Man kann sich natürlich auch dagegen entscheiden. Man kann sagen "Gerechtere Gesellschaft? Hab ich was davon? Nö? Dann interessiert mich das nicht." Oder "Da wird was für andere getan, aber nicht für mich, daher schieße ich dagegen."
Dann aber bitte auch nicht beschweren, wenn die nichtpädophile Mehrheit weiter ihre Dominanz nutzt um die Schuld an Missbrauch auf Pädophile zu schieben und diese sprachlich zu Monstern zu machen.
Man kann sich aber auch bewusst dafür entscheiden, für eine gerechtere, insgesamt von weniger Diskriminierungen geprägte Gesellschaft einzustehen.
Noch zweimal Wittgenstein:
"Auch Worte sind Taten."
"Auch Gedanken fallen manchmal unreif vom Baum."