Strafrechtliche Entwicklung in Deutschland am Beispiel Kinderpornographie
Bis 1993 stand in Deutschland der bloße Besitz von kinderpornographischen Schriften ("Kinderpornographie") nicht unter Strafe. Mitte der 90er Jahre begannen die Gesetzgeber in europäischen Ländern nach und nach weitere Straftatbestände rund um Kinderpornographie in die Strafenkataloge aufzunehmen und die Strafen immer wieder anzuheben. In diesem Artikel soll die Entwicklung bis Heute insbesondere in Deutschland betrachtet und ein Ausblick in die Zukunft gewagt werden.
Mit dem 27. Strafrechtänderungsgesetz [1] wurde 1993 der Tatbestand des Besitzes kinderpornographischer Schriften eingeführt, wobei zu diesem Zeitpunkt noch nur eine Geldstrafe oder höchstens 1 Jahr Freiheitsstrafe drohte. Gerade der Straftatbestand des Besitzes wurde damals noch von vielen Wissenschaftlern und Experten stark kritisiert, da es sich hier um eine Straftat ohne Opfer handelt. Der Strafrahmen für die Verbreitung von Kinderpornographie wurde gleichzeitig auf eine Höhststrafe von 5 Jahren angehoben (vorher 1 Jahr).
1997 wurde der Paragraph um das
"wirklichkeitsnahe Geschehen" erweitert [2], so dass kein tatsächliches Geschehen mehr abgebildet sein muss, um als Kinderpornographie eingestuft zu werden. Das Herstellen von Kinderpornographie wird seitdem als
"schwerer sexueller Missbrauch" eingestuft (auch wenn es sich z.B. nur um einen Zungenkuss handelt) und mit
"nicht unter 2 Jahren" unter Strafe gestellt. Gleichzeitig wurden Datenträger, z.B. CD-Roms oder Festplatten, den Schriften wie Bilder oder Tonträger gleichgestellt.
Ab etwa 2000 gewann das Thema mehr und mehr Bedeutung auf europäischer Ebene. So wurde vom EU-Rat im Mai 2000 [3] beschlossen, dass die europäische Polizeibehörde EUROPOL bei Kinderpornographie mit einzubeziehen und über die Fälle zu informieren ist. Es wurde geregelt, dass die einzelnen Länder Sondereinheiten bei den Strafverfolgungsbehörden schaffen sollen und diese EU-weit für die Zusammenarbeit vernetzt werden. Auch die Industrie soll nun aktiv mit eingebunden werden - so wird das Herstellen
"von Filtern oder anderen Vorrichtungen gefördert", um die Verbreitung von Kinderpornographie zu verhindern und die Aufdeckung zu ermöglichen.
In Deutschland wurde 2003 für Kinderpornographie ein eigenständiger Paragraph geschaffen [4]. Vorher gehörte das zum allgemeinen Pornographieverbot. Die Strafe für den bloßen Besitz (oder sich Besitz verschaffen) wurde auf bis zu 2 Jahre angehoben. Verschafft man anderen Besitz, dann droht eine Strafe von bis zu 5 Jahren (vorher 1 Jahr). Erfolgt das Besitzverschaffen z.B. in geschlossenen Gruppen im Internet, dann sind es nun sogar bis zu 10 Jahre [5]. Das Durchführen einer Erkennungsdienstlichen Behandlung mit DNA-Analyse und Speicherung wegen Kinderpornographie wurde erleichtert. Somit wird unterstellt, dass jemand, der sich Besitz von Kinderpornographie verschafft, in Zukunft wohl auch mit hoher Wahrscheinlichkeit sexuellen Missbrauch von Kindern begehen würde. So 2008 bestätigt vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg [6].
Auf europäischer Ebene wurde 2004 festgelegt, dass alle Personen unter 18 Jahren als Kind zu gelten haben und die einzelnen Länder Gesetze verabschieden müssen, die Pornographie von unter 18-Jährigen unter Strafe stellt [7]. Dabei reicht es aus, wenn die Darsteller auf den Bildern auch nur so aussehen, als seien sie unter 18 Jahre alt - ganz egal, ob sie in Wirklichkeit 15 oder 25 sind (
"kindliches Erscheinungsbild"). Für die Handlungen, die unter Strafe stehen, reicht bereits das Posieren in
"unnatürlichen, geschlechtsbetonten" Posen aus. Die Personen müssen auch nicht real sein, das Verbot bezieht sich auch auf
"realistisch dargestellte, nicht echte Kinder". Die EU ermöglicht mit diesem Beschluss den Ländern nun auch, Berufsverbote (z.B. für Kindertherapeuten oder Lehrer) zu verhängen.
2007 wurde mit rund 12.000 Verdächtigten und tausenden Hausdurchsuchungen eine der größten Polizeioperationen in der deutschen Geschichte durchgeführt. Offiziell hieß es, dass man
"einen riesigen Kinderpornographiering gesprengt" habe. Doch wurden nahezu alle Strafverfahren wieder eingestellt, da man nichts Belastendes gefunden hatte [8]. Unter den Funden waren allenfalls ein paar "Posing"-Bilder, die damals noch nicht unter Strafe standen [9].Einige Staatsanwälte und Ermittler ärgerten sich öffentlich darüber. Kurz darauf folgte dann auch ein neuer Gesetzesentwurf, wonach Posing-Bilder nach deutschem Recht unter Strafe gestellt werden sollen.
Ein Jahr später, 2008, wurde die EU-Richtlinie von 2004 umgesetzt und ein neuer Paragraph für "Jugendpornographie" eingeführt [10]. Der Paragraph für Kinderpornographie wurde nun um das "Posing" erweitert. Besitz von Kinderpornographie wurde als "schwere Straftat" in den Katalog der Strafen aufgenommen, für die eine Telekommunikationsüberwachung angeordnet werden darf [11]. 2010 dann wurde die Aufnahme von Straftaten wegen Kinder- oder Jugendpornographie in das erweiterte Führungszeugnis erleichtert [12], so dass jetzt bereits bei geringfügigsten Strafen eine Eintragung vorgenommen wird. Diese Ausnahme steht als - sozusagen - opferlose Straftat neben anderen tatsächlich schweren Straftaten wie Misshandlung von Schutzbefohlenen, Menschen- oder Kinderhandel hier auf einer Ebene.
Mit einer neuen EU-Richtlinie wurden 2011 weitere allgemeine Strafverschärfungen beschlossen [13]. Dazu sollen die Länder nun Berufsverbote auch tatsächlich verhängen. Arbeitgeber haben ein Informationsrecht über
"bestehende Verurteilungen oder über bestehende Verbote der Ausübung bestimmter Tätigkeiten". Darüber hinaus besteht für die Staaten jetzt auch eine Pflicht, andere Staaten innerhalb der EU über Strafen wie Besitz von Kinderpornographie zu informieren. Die undifferenzierte Begründung der EU dazu:
"um zu verhindern, dass ein Pädophiler die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU missbraucht, um in einem anderen Land mit Kindern zu arbeiten." [14] Es wurde zudem eine Internetzensur ermöglicht und Therapieprogramme beschlossen.
In Folge der Gesetzgebungen gab es auch eine Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen in Bezug auf Kinderpornographie. Eine, die beispielhaft die dramatische Entwicklung der letzten Jahre wiedergibt, ist die des BGH vom 16.03.2011 [15]. Zunächst bestätigte der BGH ein Urteil des OLG Hamburg [16], wonach man sich bereits des Besitzes kinderpornographischer Schriften strafbar mache, wenn man auch nur ein solches Bild auf seinem Bildschirm ansieht. Es spielt keine Rolle mehr, ob man das Bild auch tatsächlich speichern (also besitzen) will. Bis dahin war ein nachgewiesener Besitzwille zur Bestrafung erforderlich. Zudem wurde die Verurteilung wegen Herstellung pornographischer Schriften bestätigt, weil der Angeklagte ein Bild seines vollständig bekleideten Jungen mit einer Salatgurke im Mund machte. Es handele es sich zwar nicht um Kinderpornographie, so der BGH. Da der Angeklagte aber pädophil sei und das Bild an andere Pädophile weitergegeben wurde, sei trotzdem ein Sexualbezug gegeben und die Herstellung daher auch zu bestrafen. Der BGH entschied hier auch, dass ein Chatprotokoll, bei dem es um sexuelle Handlungen mit Kindern geht,
"ohne weiteres der Strafbarkeit" (wegen Besitz von Kinderpornographie) unterfällt. Immerhin wurde diese Entscheidung 2 Jahre später wieder relativiert, als der BGH entschied, dass der reine Besitz von kinderpornographischen Texten (hier E-Mail) nicht unter Strafe steht [17]. Die Rechtslage diesbezüglich bleibt dennoch weiter unsicher.
Dass wir langsam am oberen Ende der möglichen Strafmaße angelangt sind, macht eine Entscheidung des obersten deutschen Gerichts von 2012 deutlich [18]. Hier wurde ein Mann wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften zu unbefristetem, womöglich sogar lebenslangem Maßregelvollzug verurteilt. Die Richter gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der pädophile Angeklagte in Zukunft tatsächlich ein Kind missbrauchen könne, groß genug ist um diesem unbefristet die Freiheit zu entziehen. Der Angeklagte stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Der BGH geht weiter bei Besitz von Kinderpornographie von einer
"mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauch" aus. Alleine diese Annahme reicht laut dem BGH bereits aus, um Maßregelvollzug zu verhängen. Auch auf die EU-Richtlinie von 2011 wird Bezug genommen und insbesondere folgende Stelle zitiert:
"[..] Daher müssen [..] diejenigen Personen, die sich [..] des Herunterladens solcher Darstellungen schuldig gemacht haben, festgenommen werden" Der BGH dazu:
"Hierdurch wird das erhebliche Gewicht allein des bloßen Besitzes kinderpornographischer Schriften (Dateien) nochmals ausdrücklich betont."
Insgesamt fällt bei den Urteilen besonders auf, dass bei Freisprüchen oder milden Urteilen auch auf höchstrichterlicher Ebene fast nie von Pädophilen gesprochen wird. Wurde dagegen eine Pädophilie diagnostiziert, dann sind die Urteile regelmäßig hart - und eben auch z.B. Chatprotokolle, also fiktive Texte "ohne weiteres" strafbar. Auch von Regierungsseiten, wie von der EU wird immer mehr deutlich, dass sich die Strafverfolgungen gegen eine pädophile Minderheit statt gegen Kinderpornographie richten [14]. Der Ruf nach härteren Strafen, wie erst neulich wieder nach der Edathy-Affäre, lässt dauerhaft nicht nach. So findet sich eine schier unüberschaubare Anzahl an Medienartikeln, in denen Vertreter aller Möglichen Vereinigungen noch härtere Strafen fordern. Ganz aktuell in Deutschland sind Forderungen nach einem generellen Verbot von Nacktbildern von Kindern. Zwar gibt es hier noch viel Gegenwind, aber das war bei den Gesetzesentwürfen der letzten Jahrzehnte zu diesem Thema meistens so. Am Ende setzten sich immer einschlägige Interessenvertretungen, Medien und der Druck des Volkes entgegen der Vernunft und Gutachten von Sachverständigen durch. Die geschaffenen Gesetze reichten dann meistens doch nicht aus und wurden weiter verschärft. Diese Entwicklung wird sich wohl auch weiter fortsetzen.
Für die Zukunft pädophiler Menschen sehr bedenklich ist vor allem die Entwicklung in der Wissenschaft. So erforschen "Wissenschaftler" mehrerer Universitäten in Deutschland Möglichkeiten, um Pädophilie zuverlässig messen zu können [19]. Gleichzeitig wird das Netz an Therapie-Einrichtungen ständig weiter ausgebaut. Da der Gesetzgeber und die Rechtsprechung immer weiter Richtung Prävention gehen, ist absehbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft präventive Zwangstherapien gegen pädophile Menschen möglich sein werden. Das deutsche Strafrecht befindet sich bereits seit spätestens Anfang der 90er Jahre auf dem Weg von einem Schuldstrafrecht zu einem Präventionsstrafrecht [20] - wie dies sogar vom Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts kritisiert wird [21]. Der deutsche Strafrechtsexperte Dr. Zillermann skizzierte im Mai 2013, dass nach der rechtsstaatlichen Entwicklung wohl für das lebenslange Wegsperren eines Menschen in Sicherungsverwahrung bald keine Anlasstat mehr notwendig sein werde. Er bezieht sich vor allem auf die Entwicklung des deutschen Strafrechts der letzten 200 Jahre, die Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte in den vergangenen Jahren und die Möglichkeit der Neurowissenschaftler, vielleicht bald bessere Prognosen über
"delinquentes Verhalten" abgeben zu können. [22] Wessen Gehirn auf Bilder nackter Kinder - oder auf Kinder übrhaupt - erregt reagiert, hat wohl in Zukunft ein großes Problem.
[1] 27. Strafrechtsänderungsgesetz;
http://archiv.jura.uni-saarland.de/BGBl ... 346.1.HTML (abgerufen am 23.04.2014)
[2] 33. Strafrechtänderungsgesetz;
http://www.bgbl.de/banzxaver/bgbl/start ... 7s1607.pdf (abgerufen am 23.04.2014)
[3] Beschluss des EU Rates vom 29. Mai 2000;
http://europa.eu/legislation_summaries/ ... 116_de.htm (abgerufen am 23.04.2014)
[4] Sexualdelikte-Änderungsgesetz 2003;
http://www.bgbl.de/banzxaver/bgbl/start ... 3s3007.pdf (abgerufen am 24.04.2014)
[5]
http://www.netzwerk-artikel-3.de/dokum/ ... trecht.pdf (abgerufen am 23.04.2014)
[6] VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.05.2008, Az.: 1 S 1503/07
[7] EU Rahmenbeschlusses 2004/68/JI
[8]
http://www.heise.de/newsticker/meldung/ ... 77176.html (abgerufen am 23.04.2014)
[9]
http://www.anwalt24.de/beitraege-news/f ... strafrecht (abgerufen am 23.04.2014)
[10]
http://www.bgbl.de/banzxaver/bgbl/start ... 8s2149.pdf (abgerufen am 23.04.2014)
[11]
http://gesetzgebung.beck.de/node/245098 (abgerufen am 23.04.2014)
[12]
http://www.buzer.de/gesetz/8869/index.htm (abgerufen am 24.04.2014)
[13] EU Richtlinie 2011/93/EU
[14]
http://europa.eu/legislation_summaries/ ... 064_de.htm (abgerufen am 30.03.2014)
[15] BGH, Beschluss vom 16.03.2011, Az.: 5 StR 581/10
[16] OLG Hamburg, Urteil vom 15.02.2010, Az.: 2 – 27/09
[17] BGH, Beschluss vom 19.03.2013, Az.: 1 StR 8/13
[18] BGH, Beschluss vom 26.06.2012, Az.: 1 StR 163/12
[19]
http://www.lawblog.de/index.php/archive ... entlarven/ (abgerufen am 23.04.2014)
[20]
https://www.ipce.info/library_3/files/g ... r_2010.htm (abgerufen am 23.04.2014)
[21]
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv ... hp?seite=6 (abgerufen am 23.04.2014)
[22]
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv ... x.php?sz=8 (abgerufen am 24.04.2014)