Positives
- Ich glaube, von der Auswahl der Teilnehmer dürfte das so ziemlich der umfangreichste und beste Beitrag sein, den ich bis jetzt zu dem Thema gesehen habe. Es werden drei sehr unterschiedliche Lebensgeschichten erzählt, die sich gegenseitig gut ergänzen und ein umfangreiches Bild abgeben. Dazu Aussagen von Personen aus dem Umfeld, und natürlich die obligatorischen Expertenmeinungen. Mit Pascale gibt es sogar eine Perspektive von jemanden, der nie eine Sexualtherapie unterlaufen hat, und mit Franz jemanden, der sich traut mit unverfälschter Stimme aufzutreten. Toll!
- Dass der Ansicht Raum gelassen wurde, dass der Kontakt zu Kindern auch etwas positives für beide Seiten sein kann, und dies für einige auch als eine positive Seite der Pädophilie betrachtet werden kann. Vor allem auch Ahlers' Darstellung, dass es seiner Erfahrung nach gut sein kann, dass Pädophile besonders gut mit Kindern umgehen können. Insgesamt finde ich es schön, wie viele Interaktionen und Beziehungen zu Kindern in den Beitrag dargestellt werden, die nicht nur unter dem Aspekt des Risikos und der Risikominimierung betrachtet werden, sondern wo auch klar wird, dass diese Beziehungen für alle Beteiligten einen positiven Effekt haben.
- "Amelung: Jemand, der eine Pädophilie hat ohne pädophile Störung, wäre dann auch nicht therapiebedürftig." Ich finde diese Aussage sehr wichtig, vor allem da ja auch häufig (zu Recht) kritisiert wird, dass von jedem Pädophilen unabhängig seiner Lebensumstände quasi verlangt wird sofort eine Therapie zu machen. Soweit ich mich erinnern kann ist dies das erste Mal, dass ich in so einer Veröffentlichung die Aussage höre, dass eine Therapie eben nicht in jedem Fall notwendig ist. Und noch etwas: in der Beschreibung zur pädophilen Störung wird die Fremdgefährung als letzter Punkt genannt. Bei diesem Beitrag habe ich tatsächlich den Eindruck, dass Therapie als etwas dargestellt wird, dass den Betroffenen helfen kann, und nicht nur als etwas, das primär dem Ziel dient tickende Zeitbomben unter Kontrolle zu bekommen.
- Der Titel
- Amelungs Reaktion auf die Einleitung mit Max und Anna. Ich sehe das irgendwie als große verpasste Chance. Ich denke mal, dass die Idee für den durchschnittlichen Hörer erst einmal fast schon ungeheuerlich sein wird: eine Mutter, die ihre Kinder wissentlich mit einem Pädophilen alleine lässt! Für viele wird das unfassbar sein. Und da wirken Amelungs Aussagen direkt dahinter wie ein "Rettungsanker", um die bisherigen Einstellung nicht überdenken zu müssen: der Experte sagt doch, dass das irgendwie erstmal fragwürdig ist. Ich hatte so ein bisschen den Eindruck, dass die Aussagen von Herrn Amelung eher allgemeiner Natur waren, als Antwort auf die Frage "was würden sie einer Mutter erzählen, die erwägt ihre Kinder mit einem Pädophilen alleine zu lassen", und nicht die Reaktion auf den direkt vorhergehenden Teil. Andernfalls kann ich mir Fragen wie "Kann sie das einschätzen, was das heißt, wenn ihr derjenige sagt: Ich bin pädophil und ich pass auf deine Kinder auf?" nicht wirklich erklären, da der vorhergehende Teil das doch eigentlich schon wunderbar beantwortet.
- Ahlers Aussagen dazu, wie Pädophile Beziehungen zu Erwachsenen führen. Seit Nabokovs Lolita existiert irgendwie das Klischeebild, dass Pädophile Erwachsene eigentlich verachten und Beziehungen zu ihnen nur eingehen, um ein gesellschaftliches Bild aufrecht zu erhalten und dabei als ultimatives Endziel den Kontakt zu Kindern zu bekommen. So ein bisschen habe ich mich bei einigen Aussagen daran erinnert gefühlt: "Was die Betroffenen erleben ist, dass sie sich mit Erwachsenen langweilen", oder auch der erwähnte Begriff "Fassadenehen". Dabei wird ein wenig unter den Tisch fallen gelassen, dass soziale Beziehungen zu Erwachsenen auch für Pädophile erfüllend sein können, und zumindest für nicht-exklusive pädophile dies auch auf romantischer und sexueller Ebene.
- Amelungs Aussage zu der Arbeit mit Kindern als "maximale Herausforderung". Was mir hier fehlt ist der offensichtliche Einwand: Menschen gehen tagtäglich mit Personen um, die sie sexuell anziehend finden. Von heterosexuellen Männern wird beispielsweise auch erwartet, dass sie in der Lage sind mit Frauen zusammenzuarbeiten, ohne dass es da zu Problemen wegen ihrer Sexualität kommt. Warum ist das plötzlich so problematisch, wenn es um Kinder geht?
Ich hätte übrigens noch eine ernsthafte Frage zu der Quelle für diese Aussage:
Diese Zahl findet man häufiger und geht soweit ich weiß vor allem auf diese Studie zurück. Was nicht erwähnt wird: diese Studie untersucht diverse Kriterien zur Diagnose einer pädophilen Neigung, und die 60% ergeben sich bei Verwendung der Kriterien, welche die meisten Menschen als pädophil einstuft. Nach diesen Kriterien wären aber auch ~15% der Durchschnittsbevölkerung pädophil, im Gegensatz zu den im Beitrag zitierten 1%. Es ist also zu erwarten, dass diese Kriterien zu weit gefasst sind und auch nicht-pädophile Menschen als pädophil einstuft. Andere Studien finden konsistent einen höheren Anteil von nicht-pädophilen Missbrauchstätern, eher 80% und teilweise noch mehr. Kurz gesagt, es wäre richtiger zu sagen dass 40% eine obere Grenze für den Anteil Pädophiler unter den Missbrauchstätern ist, und der wahre Anteil vermutlich noch einmal signifikant weniger ist. Das ist nur eine Kleinigkeit, aber es wundert mich doch immer ein wenig diese 40% als de-facto-Zahl zitiert zu sehen. 40% sind zwar eine Minderheit, und wohl auch weniger als die meisten Menschen es vermuten würden, aber es ist immer noch ein signifikanter Anteil - 20% klingt da meiner Meinung nach noch einmal ganz anders. Oder gibt es da noch andere Studien, die ich gerade nicht auf dem Schirm habe und eher die 40% bestätigen?60% der Taten werden von nicht-pädophilen Menschen ausgeübt.
Das Problem liegt, so wie ich das sehe, in den Implikationen, welche sich aus den Fragen in dem Kontext ergeben. Anna beschreibt zunächst, dass sie Max auch den alleinigen Umgang mit ihren Kindern gewährt. Darauf kommt dann die sinngemäß die Frage von Herrn Amelung, ob sie denn weiß was das überhaupt eigentlich bedeutet ("kann sie das einschätzen"). Auch wenn es so vielleicht nicht gemeint ist, so finde ich es schwierig diese Frage nicht als Vorwurf von Naivität und Blauäugigkeit an Anna zu interpretieren. Und für den durchschnittlichen Zuhörer, der es vermutlich grundsätzlich schon für naiv und blauäugig hält einem Pädophilen alleinigen Umgang mit Kindern zu geben und der daher genau so eine Einschätzung hören möchte gilt das wohl nur umso mehr. Damit kompromittiert die Aussage im Prinzip genau die Chance, die es hier gegeben hätte um die Einstellungen des Zuhörers in Frage zu stellen.